PÉTER ESTERHAZY:
ÜBER ALLES

 

Eröffnungsrede zur Frankfurter Buchmesse 1999

Hölgyeim és Uraim

Milyen érdekes volna – interessant -, ha egyszerûen fognám magam, és magyarul kezdenék itt, most beszélni! Aki magyar, velem tart. Volna, ki értené, volna, ki nem. A hallgatóság, fölteszem, mosolyogna. Egy ideig. Azután lassan, szép lassan kínos kezdene lenni. Paradigmatikusan – paradigmatisch – elkínosodna. Erre azután megállnék1

Wie nun weiter, frage ich mich angesichts der entstehenden Unsicherheit. So lang ich ungarisch gesprochen habe, konnte ich beim bloßen Hinschauen erkennen, wer ein Ungarn ist. Ein schönes Gefühl. Ein Ungarn ist jemand, der lacht, habe ich feststellen können. Jemand, dessen Augen voller Verstand blitzen. Der Ungar also ist glücklich. Das ist die erste Runde der Vorstellungen und Selbstbestimmungen. Die Ungarn, ein heiteres, gutgelauntes Volk – mag doch Johann Gottfried (von) Herder sagen, was er will.

Mir hat niemand, kein einziges Wesen gesagt, daß ich hier deutsch reden soll. Was die Ungarn betrifft. Wäre das noch verständlich, sie sind kein Volk von Organisatoren. Aber die Deutschen, so heißt es zumindest in den Parodien, sagen gerne, wie etwas zu sein hat.

In einem der offiziellen Briefe lese ich zum Beispiel, daß von diesem kleinen Land Ungarn sowohl literarisch als auch politisch eine aufregende Vorstellung zu erwarten sei: selbst den Eisernen Vorhang hätten wir eins zerrissen.

Ein kleines Land. Ich habe keine Minderwertigkeitsgefühle, vielleicht bin ich auch nicht überheblich, und Ungarn ist wirklich klein, petit, aber warum kommt das in solch einem Satz vor, warum dieses unwillkürliche Von-Oben-Herab? Das große Deutschland? Das klingt nicht gut, und auch die Franzosen würden gleich murren. Wenn es nicht klein ist und auch nicht groß, ist es offensichtlich mittelmäßig. Mittelmaß. Da haben wir es: zufällig ist es rausgerutscht, die kleinen Ungarn – und schon erstickt Deutschland im Mittelmaß! Mittelmaß und Wahn. Magnus magnum labat. Ein Wort folgt dem anderen. Aber lassen wir die Wörter weiterrutschen.

Man kann über alles predigen, nur nicht über zwanzig Minuten, behauptet der Pfarrer der Landeskirche von Kurhessen-Landeck. Was ich nicht genau verstehe, denn er ist der Pfarrer von Gronau, und Gronau ist ein Teil von Bad Vilbel, das seinerseits allerdings zur hessen-nassauischen Landeskirche gehört, und nicht etwa zu jener von Hessen-Landeck. Na gut, das ist gleichgültig.

Über alles, nur nicht über zwanzig Minuten: über dies Alles wird hier die Rede sein.

Würde ich ungarisch reden, würde die ungarische Sprache dieses Alles oder zumindest ein bestimmtes Alles sofort zeigen können, gleichzeitig aber auch, daß Sie – meine Damen und Herren – nicht zu diesem Alles gehören, Sie sind nicht Teil des Universums. Um es mit einem alten ungarischen Sprichwort zu sagen (aus unerfindlichen Gründen sind etliche ungarische Sprichwörter lateinisch, und warum das so ist, könnte nur der Herr Pfarrer sagen – und außerdem noch ich): extra hungariam non est vita, si est vita, non est ita.

Im Grunde müßte ich kein einziges Wort sagen – auf ungarisch natürlich – und schon wären die feine ungarisch geschichtliche Überheblichkeit und der Hochmut präsentiert. Präsentiert wäre – ohne jede positive Aufzählung und ohne Beweiszwang – die Jahrhunderte alte ungarische Glorie.

Selbstverständlich hat aber jedes Land seine Glorie wie auch seine eigene Stille, sein eigenes Jahrhundert. Es gibt keine guten Länder und keine schlechten Länder. Auch Serbien ist ein gutes und ein schlechtes Land. Derzeit ruht viel von der Gesamtheit des menschlich Schlechten auf seinen Schultern. Jetzt sind es gerade die serbischen Schultern, ein anderes Mal die ungarischen Schultern, wieder ein andermal die deutschen. Und es gibt auch noch andere Länder. Manchmal ist es peinlich, ein Serbe zu sein, ein anderes Mal ist es peinlich, ein Ungar zu sein, ein Amerikaner, ein Festredner. Manchmal ist es peinlich, ein Schriftsteller zu sein. Ein kurzer Abschied zu einem langen Dichter.

Also eine Glorie haben alle. Aber nicht alle haben einen Kosztolányi, einen Krudy, einen Karinthy, um nur die mit dem Buchstaben K zu erwähnen. Den Buchstaben K haben aber (fast) alle. Zum Beispiel Künter Krass.

Csak nem fogok egy vacak szóviccért a szomszédba menni !2

Ein unübersetzbares Wortspiel. Ist der Ruf erst ruiniert, lebt man froh und ungeniert.

Machen Sie sich keine Hoffnungen, diese ungarische Stille in Frankfurt, sollte es sie geben, aber es gibt sie nicht, mmmmm, sie würde allerlei Vorwürfe enthalten. Misshör’ mich nicht, du holdes Angesicht! Es gibt viele Dinge, die Sie hören mochten, das aber möchten Sie sicher nicht hören, dieses ewige, unreflektierte ost-europäische Gejammer, diese sentimental- moralischen Verletztheiten. Das mögen Sie nicht einmal aus Leipzig oder Dresden hören. Unter uns gesagt ist es wirklich nicht angenehm. Und langweilig ist es auch. Und dort mag man nicht, daß man es hier nicht mag. Und überhaupt: wir mögen nichts vom Leiden hören, vom Leider der anderen: am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts ziemt es sich nicht, zu leiden. Das verbindet Frankfurt, Leipzig und Budapest.

Tief ist der Brunnen der Vorwürfe. Unsererseits haben wir die Türken schon im siebzehnten Jahrhundert mit unseren bloßen Händen aufhalten müssen – obwohl sie damals nicht einmal die doppelte Staatsbürgerschaft besaßen -, wir waren die letzte Trutzburg, das Bollwerk des Abendlandes, während ihr Euch Eurerseits vermehrt und den Klugen markiert habt. Na, und was war der Dank dafür? Einen Dank gab es nicht. Höchstens einen gnädig gelangweilten Blick von Leopold I. (Obwohl ich mich von meiner Familie her über diesen Leopold nicht beklagen möchte...)

Niedergetrampelt ward manch eine unserer schönen Revolutionen, zerstückelt ward dies Land (oder sollte ich das vielleicht lieber in Paris vortragen?), und dann sind wir auch 1945 allein geblieben, erinnern wir uns nur an Churchills legendär zynische Zettel, als wären sie Pferdehändler, verhandelte er zu zweit mit Stalin über unser Leben, und bitte, auch 1956 hat es Euch beliebt, uns im Stich zu lassen, dann beliebte es Euch, allerlei kommunistischen Mördern die Hände die Hände zu schütteln (auch wir haben Hände geschüttelt, auch wir haben uns im Stich gelassen – darum reißen wir jetzt dem Mund so weit auf), aber dann, als wir vor zehn Jahren Eure östlichen Brüder aus dem Ostern hinausgelassen haben, das war Euch recht, nicht wahr ?, alle haben erschüttert geschluchzt, denn erinnert Euch nur, damals wart Ihr noch Brüder und ein Volk. Das mit dem Ossi und Wessi kam erst später, es kam zur feinen Verdrießlichkeit, und geblieben sind die 5,5 %Solidaritätszuschlag (die man aus rätselhaften Gründen auch mir abzuziehen beliebt).

Schweigen wir über etwas anderes. Mit der beinahe schon pflichtgemäßen Blödheit eines Redners möchte ich sagen, daß Ungarn ein Land der Literatur ist. Eine literarische Nation. Was bedeutet das? Abgesehen davon, daß es, unter uns gesagt, nichts bedeutet, bedeutet es viel und Verschiedenes, bei der Auslegung dieses Begriffs können wir, Ungarn, auf eine reiche Tradition zurückblicken.

Auf eine reiche, mächtige, schwere Tradition. Aber könnte sie denn anders sein? Ist nicht jede Tradition wie Eisbein mit Knödeln oder wie der Ohrensessel : groß und schwer? Ab ovo?

Azt most nem mondanám németül, hogy ab ávó, lábjegyzetelhetnénk napestig, nem jutnánk semmire3.

Das war jetzt wirklich ein unübersetztbares Wortspiel. Ehrenwort. Es ist nicht ganz gegen meine Absicht, Sie von Zeit zu Zeit, quasi als Appetithäppchen, fühlen zu lassen, wie bitter das sprachliche Ausgeliefertsein schmeckt. Wir, wenn wir eine Sprache nicht kennen, kennen sie wirklich nicht, ehrlich und mit allem Drum und Dran, vom Scheitel bis zur Sohle kennen wir sie nicht, nichts kennen wir dann. Nix dajtsch. Bei Ihnen verhält sich das meist anders: Ein indogermanischer Rabe wird einem indogermanischen Raben die Augen nie wirklich aushacken.

Die Überlieferungen also. Die Ohrensessel. Ein Teil davon läßt sich ohne weiteres Stocken mit dem allgemeinen ost-europäischen Indigniertsein verbinden. Daß nämlich János Arany bessere Gedichte geschrieben hat als János Goethe, und Sándor Petöfi ist größer als … als Klopstock.

Messias wurde geboren … Ich habe eine bewundernswerte Tante, die, wenn sie schlecht gelaunt ist, gleich Klopstock zitiert. Sie hat ein schweres Leben hinter sich, die Türken, die Russen, Churchill, Mussolini, mein Kind, der war wenigstens ein fescher Mann, nicht wie jener wahnsinnige Maler, sagt sie immer, wenn sie gut gelaunt ist. Ist halt eine große Familie.

Nun also, Ungarn ist eine literarische Großmacht, nur seine Sprache, die ist ein Kerker … Wie ungerecht, wie ungerecht, sagt die zersägte Dame.

Meine zersägten Damen und Herren – Ost, West, Mann, Frau, Leib, Seele, wie ungerecht, wie ungerecht – es hätte sich auch so ergeben können, daß wir hier tagelang Ungarischkurse abhalten.

Sie müßten bis zum kommenden Freitag alle Könige aus dem Hause Árpád auswendig lernen, geboren, gestorben dann und dann, herrschte von bis, daneben die wichtigeren verlorenen Schlachten, wie ungerecht, wie ungerecht, natürlich müßten sie die Klassiker unserer Literatur aus dem Stegreif kennen, und nicht immer nur dieses Dalos-Konrád-Magda Szabó – a sápadtarcúakra vonatkozó õsi magyar tréfát most nem mondom el, de közel vagyok hozzá4) – pardon, sondern Péter Pázmány, Mihály Csokonai Vitéz, hier gäbe es auch für die richtige Aussprache Pluspunkte. Dann aber müßten Sie die Namen Weöres- Pilinszky- Ottlik- Mészöly-Mándy-Nemes Nagy-Szentkuthy so auswendig können, wie Rahn- Morlock- O.Walter- F.Walter- Schäfer. (Einzelheiten lassen wir jetzt beiseite).

Am Samstag hätten Sie dann Prüfungen, es gäbe kleine völkisch-urbanen Zwischenfragen, damit Sie auf kleinen Fall überheblich werden (und wir auch nicht!), und dann käme das dicke Ende: das Lesen. Vorher natürlich noch der Einkauf der Bücher, wegen einer eventuellen späteren Kontrolle bitte Rechnungen mit Mehrwertsteuer aufbewahren.

Endlich gäbe es Ordnung in der Welt, das Verhältnis zwischen Zentrum und Peripherie würde dialektisch pulsieren, von dem Einschlafen würden die kleinen deutschen Bengel Sándor-Weöres-Gedichte vor sich hinmurmeln – õszi éjjel izzik a galagonya, izzik a galagonya ruhája 5) - , und dadurch würde sich natürlich Ihr ganzes Leben verändern. Um ehrlich zu sein, liegt mir diese Vorstellung überhaupt nicht fern. Morgens würde ich das deutsche Volk zu mir bitten, ich würde das zu Memorierende, die Aufgaben vom Vortag abfragen, hernach würden wir über Endre Ady schwatzen. Das wäre aufschlußreich, für mich und für das Volk.

Ach! Es geschehen keine Wunder mehr!

Wir könnten die vergangenen zehn Jahre feiern, es waren für uns die ersten zehn Jahre der Freiheit. Wollte ich über diese Jahre reden, was ich aber nicht will, wäre es besser und sinnvoller, wenn ich Péter Nádas wäre. Ich glaube, ich würde von den Jahren der Versäumnisse und des Verrats reden, über die Strukturen der europäischen Machtlosigkeit. Vielleicht. Ich bin nicht er, und er ist nicht ich (das ist ziemlich interessant) - jedenfalls würden Sie hier nicht so viel herumkichern. Ich auch nicht.

Wir können aber auch die vergangenen tausend Jahre feiern, tausend Jahre Ungarn, tausend Jahre Christentum! Nein, zweitausend Jahre, und dann tausend Jahre ungarisches Christentum! Mit Verlaub, wir sind immerhin die einzigen, die von den Nomadenvölkern übriggeblieben sind! Die einzigen! Versuchen Sie nur einmal einen petschenigischen Schwerpunkt zu organisieren!

Seinen Sie Ungarn und freuen Sie sich darüber! Damit könnte diese herbstliche Woche einen schönen Verlauf nehmen! Vor lauter Nationalstolz würden Sie nur so strotzen! Das ist bei den Deutschen ohnehin immer problematisch, irgendwie können sie ihr Land nicht aus vollem Herzen lieben, ständig müssen sie kompensieren! Ein Esel schilt den anderen Langohr.

Aber ich müßte das alles vielleicht vorher noch mit Martin Walser besprechen.

Auch wir sind ein normales Land.

Ich möchte unsere Literatur an dieser Stelle nicht übermäßig loben. Sicher, auch meine Eier haben zwei Dotter. Auf ungarisch geht dieser Spruch so, daß jeder Zigeuner das eigene Pferd lobt. Auf ungarisch bin ich dieser jeder Zigeuner. Und auch das Pferd. Und gleich auch Nietzsche, der das Pferd beweint. Jedes Wort ist ein Vorurteil.

Ein Land der Literatur, habe ich gesagt. Aber das soll nicht nur als Parodie verstanden werden.

Im Widerstand hat die ungarische Literatur beachtliche historische Erfahrungen, die Türken, Churchill, Sie wissen schon, was ich meine. Was die jüngste Vergangenheit betrifft, bezog sich dieser Widerstand vor allem auf die Diktatur, und die Diktatur ist nun zu Ende. Nun sind auch wir ein normales Land, oder habe ich das schon erwähnt?

Doch hat diese Tradition des Widerstands, dieses Rilkesche Dagegen, eine von konkreten geschichtlichen Situationen zwar nicht unabhängige, aber doch rein literarische Seite, ein Stolpern und Sich-Winden. Als wollte sich unsere Literatur winden, um nicht anerkennen zu müssen, daß die Literatur eine gutgeölte Maschinerie ist, sie möchte am liebsten ein Sandkorn inmitten dieser allgemeinen Wohlgeöltheit sein.

Ich möchte keine Namenslisten vorlesen, doch an wen ich auch danken mag, immer finde ich diesen feinen Widerstand, der sagen wir, in einem endlosen Satz von Nádas- oder Krasznahorkai steckt, oder in einem Absatz von Tandori, aber ich werde wirklich keine Namensliste vorlesen, möchte nur noch Miklós Mészöly erwähnen, als primus inter pares, seine festen Textoberflächen, die den Sonnenschein so zurückwerfen, daß man hinterher lange mit tränenden Augen blinzeln muß. Der Wahlspruch von Mészöly ist: Mit dem Kopf gegen die Wand rennen, und dann weiter, durch den offenen Spalt hindurch!

An dieses Weiter und an dieses Blinzeln erinnert mich unsere Literatur in ihren besten Augenblicken. Den Leser erinnert sie deren, daß er ein Leser ist. Nicht ein Käufer, nicht ein Opfer der Werbung, nicht ein Freizeitverbraucher. Und sie erinnert ihn daran, daß es eine fröhliche Wissenschaft ist, ein Leser zu sein, und dabei geht es immerhin um eine Fröhlichkeit, an der man zugrunde gehen kann. Auf eine solche schwere Heiterkeit lenkt sie die Aufmerksamkeit, darauf, daß es großartig ist, zu lesen: ein Leser zu sein, ist eine große Angelegenheit.

Um ein auch hier verständliches Beispiel zu nennen, ist es in unserer Literatur der Roman von Imre Kertész, der uns sagt, daß Leben schön sei. Zumindest lese ich ihn meinerseits so.

Mit all dem habe ich etwas übertrieben, da ist wieder das Pferd des Zigeuners. So gut ist die ungarische Literatur auch wieder nicht. Ihre Möglichkeiten aber sind in etwa so. Sie hätte gern, daß dort, wo sie sich befindet, wie in den Überschriften auf alten Landkarten geschrieben steht: hic sunt leones. Das möchte natürlich jedes Sandkorn und jedes gute Buch: Metro- Goldwyn-Mayer.

Ein Leser ist jemand, der liest, aber es kommt auch vor, daß der Lesen nicht liest. No problem. Wir haben nicht nur Bücher mitgebracht, wir haben auch Wein. Wir haben Wein und Weinfachleute. Von ihnen möchte ich jetzt nur einen erwähnen, den Meister aus Villány, Ede Tiffán. Er ist der Miklós Mészöly der Weinfachleute. Nehme ich an. Seinen Namen kann man sich leicht merken. Breakfast an Tiffán. Ein Land ist immer wie seine Weine sind. Auf dieser Grundlage sind wir ein hoffnungsvolles Land in den Anfängen, ein seit tausend Jahren beginnendes Land.

Abschließend möchte ich wenigstens meine eigene Geschichte anständig zu Ende erzählen.

Daher fällt mir von Wein her mein Vater ein. Mußte doch der Arme in seinem Leben ziemlich viel Gepanschtes trinken. Sobald er die Redaktion verließ, wo er als Übersetzer arbeitete – deutsch, englisch, französisch, wie es sich gehört - brach er sofort zu einer Kneipe auf, er rannte, dort im achten Bezirk, wo viele Keller als Ausschank betrieben wurden, er strebte eilig abwärts, unter den Boden, schaute weder rechts noch links, die Welt, in der man bereits, wenn auch mit Einschränkungen, wieder leben konnte, wollte er nicht sehen, und er wollte auch sich selbst nicht sehen, er rannte die Stufen in die säuerliche Dunkelheit hinab, im widerlichen Gestank fühlte er sich wohler als zu Hause.

Dort fühlte er sich wohler,

Letztes Jahr ist er gestorben.

Und nun ich bin auf die Idee gekommen, Sie zu bitten – denn nachher gibt es hier so etwas wie einen Empfang - , daß Sie den ersten Schluck von jenem schönen 98-er Blauen Portugieser aus Villány, von Tiffán (mittlere Farbintensität, samtiges Tannin, am Gaumen trocken, schönen Abgang), daß Sie den ersten Schluck zur Erinnerung an meinen Vater trinken.

Nun also. Ich habe über alles reden können, aber ich habe nicht alles gesagt. Zum Beispiel: Nächstes Jahr: Schwerpunkt Polen. Noch ist Polen nicht verloren.

Nächstes Jahr.

Wir danken, mein Vater und ich danken für Ihre Aufmerksamkeit.

 

 

Fußnoten :

  1. Meine Damen und Herren,
  2. Wie interessant wäre es doch, wenn ich jetzt einfach auf ungarisch losreden würde! Wer ein Ungar ist, würde zu mir stehen. Die Ungarn würden zu mir stehen.

    Manche würden mich verstehen, manche nicht. Die Zuhören würden vermutlich lächeln. Eine Weile jedenfalls. Dann wäre die Situation allmählich, ganz langsam, peinlich. Paradigmatisch würde sie sich verpeinlichen. Und da würde ich stocken.

  3. Ich werde doch wegen eines miesen Wortwitzes nicht zum Nachbarn laufen!
  4. Auf deutsch würde ich nicht ab ávó sagen, sonst müßten wir bis nach Mitternacht mit den Fußnoten weitermachen. (Ávó ist die Abkürzung für den Staatssicherheitsdienst der fünfziger Jahre.)
  5. Den uralten ungarischen Scherz über die Bleichgesichter werde ich jetzt nicht erzählen, obwohl ich mich kaum zurückhalten kann. (Das ist ein provinzieller Hinweis auf einen innerungarischen Konflikt.)
  6. In herbstlicher Nacht glüht der Weißdorn, glüht der Weißdorn mit seinem Kleide. (Eine in Ungarn allgemein bekannte Verszeile von Sándor Weöres.)

Aus dem Ungarischen von Zsuzsanna Gahse

 

 

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