REDE ZUR PRESSEKONFERENZ AM 8. JUNI 1999 IN FRANKFURT

PETER WEIDHAAS, DIREKTOR DER FRANKFURTER BUCHMESSE

 

Schwerpunkt thema Ungarn zur 51. Frankfurter Buchmesse 1999 Pressekonferenz vom 8. Juni 1999

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich heiße Sie willkommen zur Vorstellung des Programmes des Schwerpunkt- themas Ungarn auf der 51. Frankfurter Buchmesse.

Ungam ist das 13. Land, das sich zur Buchmesse mit einem Großaufgebot von Veranstaltungen aus allen Sparten von Kunst und Kultur vorstellt. Die Zahl 13 ist dabei gewiß keine Unglückszahl. Vielmehr macht sie deutlich, daß sich auf der Frankfurter Buchmesse eine nunmehr schon über ein Jahrzehnt währende Tradition der kulturellen Begegnung entwickeln konnte.

Diese Vermittlung von kulturellen Begegnungen und Entdeckungen literarischer Inhalte zählt zu den wichtigsten Funktionen der Frankfurter Buchmesse. Manchmal wird dies beiseite gedrängt durch Schlagzeilen, die sich auf spektakuläre Dinge beziehen, etwa auf die großen Umbrüche im internationalen Verlagsgeschehen, oder auf denjeweils neuesten Super-Bestseller der am Marktplatz Frankfurter Buchmesse gerade gehandelt wird.

Die Frankfuter Buchmesse aber ist gerade darin einzigartig, daß auf ihr der Handel mit Rechten und die Messe der Inhalte einander untrennbar ergänzen.

Und wenn wir von Inhalten sprechen, also etwa von Literatur, von Autoren, von Neuerscheinungen, dann spielt die Aufmerksamkeit für die Literaturen aus noch wenig erschlossenen.Sprachräumen eine ganz besondere Rolle.

"Kleine" Länder haben häufig "große" Literaturen. Dies ist eine Erfahrung, die wir immer wieder machen durften. Eines der erfolgreichsten Schwerpunktthemen auf der Frankfurter Buchmesse beschäftigte sich 1993 mit Flamen und den Niederlanden. Aber auch Irland 1996, oder Portugal vor zwei Jahren gehören in diese Reihe gestellt.

Als dann im Vorjahr ausgerechnet der auf der Buchmesse anwesende portugiesische Schriftsteller José Saramago mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, war nicht nur der Jubel um Saramago besonders groß und beeindruckend.

Es zeigte sich, wie ein Land, das üblicherweise immer unter dem Stichwort von den "Ründern Europas" genannt wird, mit einem Mal über die Literatur, die Autoren und die Bücher in einen Mittelpunkt der Aufmerksamkeit katapultiert worden ist.

Die Frankfurter Buchmesse, aber auch die deutschsprachigen Verlage und Leser insgesamt wurden in derjüngeren Vergangenheit mehr und mehr zu einem wichtigen Resonanzraum des internationalen kulturellen Transfers. Texte aus Sprachen oder Regionen, die in den Leitmedien der Welt häufig unter ihrem Wert geschlagen werden, finden hier immer wieder eine Bühne, die ihnen zum großen Durchbruch verhilft.

Dies war bereits 1976 der Fall, als die bedeutenden Literaturen Lateinamerikas mit einem Schlag einer nicht nur deutschen, sondern wenigstens europäischen Leserschaft über die Buchmesse entdeckt werden konnten. Aber auch seither ist immer wieder von ähnlichen Erfolgsgeschichten zu berichten, zuletzt galt dies etwa für die skandinavischen und zuvor auch schon für die russische Literatur.

Ganz Ähnliches wünschen wir uns nun natürlich auch für die Literaturen Mittel- und Osteuropas - auch wenn einige der Autoren aus dieser Region bereits zu klingenden Namen der Weltliteratur geworden sind.

Mit dieser kurzen Abschweifung ins Grundsätzliche bin ich also schon direkt beim Thema Ungarn angelangt.

Sie werden auf dieser Pressekonferenz mit den Einzelheiten des Kulturprogramms vertraut gemacht werden, die das ungarische Organisationskomitee vorbereitet hat. Ich will da nichts vorwegnehmen, sondern lediglich noch einen Aspekt aus Sicht eines Lesers ungarischer Literatur beisteuern.

Wer sich in die neuere ungarische Literatur einliest, mag verblüfft sein, in welchem Ausmaß zwei Themen sich zu einem roten thematischen Leitfaden drehen lassen: Die - zumeist selbstironische - Beschäftigung der Autoren mit dem "Ungarntum" einerseits und die dem entgegengesetzten zahllosen Reisen - in aller Regel in Richtung Westen - andererseits.

Nur zwei Beispiele als Beleg dafür: Peter Nadas' großer Roman "Buch der Erinnerung" beginnt etwa ganz programmatisch mit einer Beschreibung seiner "letzten Berliner Wohnung", aus der dann, Seite um Seite, ein Buch wächst über die großen politischen Schnittstellen in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts in Europa.

Péter Esterházy, gewiß nicht weniger weltläufig als Péter Nadas, und zur Frankfurter Buchmesse im Oktober der literarische Eröffnungsredner, Péter Esterházy also grübelt in fast jedem seiner Bücher über die Frage, was es heißt ein "Mitteleuropäer" zu sein. Manchmal sei dies einfach ein "Pech"; häufig sei es auch eine "Tragödie, oder eine "Komödie", in jedem Fall aber ein "Drama". So lautet Esterházys lakonische Schlußfolgerung.

Der Spannungsbogen zwischen dem Eigenen, Individuellen, auch dem Eigenbrötlerischen einerseits und zum anderen der weiten Welt, das ist eine Qualität, welche die ungarische Literatur mit manch anderen Beiträgen zur Weltliteratur teilt.

Wir dürfen deshalb gespannt sein, zu welchen Begegnungen dieses Schwerpunktthema Ungarn auf der 51. Frankfurter Buchmesse einladen wird, die vom 13. bis zum 18. Oktober dauert.

 

 

PROF. DR. ÁRPÁD BERNÁTH, UNIVERSITÄT SZEGED, GESCHÄFTSFÜHRENDER DIREKTOR DER FRANKFURT'99 GEMEINNÜTZIGEN GMBH IN BUDAPEST

Buchmesse als kulturpolitisches Ereignis

Vom 13. bis 18. Oktober 1999 präsentiert sich zum ersten Male ein Land aus dem ehemaligen Ostblock auf der Frankfurter Buchmesse als nationaler Schwerpunkt. Ungam nimmt nicht zufällig diese Position ein. Zehn Jahre nach der Grenzöffnung zwischen Ungam und Österreich zeigt sich immer eindeutiger, daß hinter dem eisernen Vorhang kein monolitischer Block war: Die jahrhundertealten kulturellen Bindungen, der aktuelle Stand und Zustand der Wirtschaft lassen die freigewordenen Staaten des ehemaligen sowjetischen Reiches unterschiedlich wettbewerb- und integrationsfähig erkennen. 1999 kann Ungam mit Polen und der tschechischen Republik gemeinsam von sich behaupten, was 1989 - nach vierzig Jahren demokratischer Entwicklung - die Bundesrepublik Deutschland selbstbewußt behauptet hat: Eingebunden im Westen - Offen

für den Osten steht das Land im Herzen Europas.

Halle 3.0 - zum ersten Mal alles unter einem Dach

Kultur und Kommerz werden vielleicht nirgendwo so positiv verbunden, wie gerade auf der größten Buchmesse der Welt. Die beiden Faktoren der Integrations- und Wettbewerbsfähigkeit eines jeden Landes zeigen sich in Frankfurt nicht nur im Produkt Buch vereinigt, sie kommsn betont zum Vorschein in den Veranstaltungen der Länderschwerpunkte. Noch nie war aber die Zusammengehörigkeit der beiden Bereiche auch räumlich so eindeutig demonstriert: Zum ersten Male wird ein Schwerpunktland sein kulturelles Programm mit den neuesten Produktionen seiner Verlage unter einem Dach zeigen können. Auf der Ebene 0 der Halle 3 werden nicht nur Ausschnitte aus den kulturellen Tradition Ungams dargeboten.

Die ungarischen Verlage, Druckereien und Buchhandelsfirmen verlassen ihren gewohnten Platz in der Halle 9.2 für dieses eine Jahr. Die Veranstalter erhoffen von dieser Lösung eine umfangreiche und doch kurzweilige Information der Besucher. Die zwei Bereiche werden immerhin zwei Erscheinungsbilder abgeben: Der Architekt István Ferencz stellt zwölf Genien der ungarischen Kultur im Mittelpunkt der Ausstellung; die ungarischen Verlage werden ihre Bücher nach Vorstellung des Architekten Dezsõ Ekler in großen beweglichen Büchern aus Holz auslegen. Auf einem Podium werden Programme laufen von Öffnung bis zum Schluß auf jeden Tag: Vormittags finden Diskussionen ernsteren Inhalts statt – sogar Ungarns Staatspräsident wird als Autor zum Wort kommen - mittags werden vor allem Neuerscheinungen von besonderem Interesse präsentiert, und je später wird der Nachmittag, desto lockerer wird sich auch das Programm gestalten: Kommerz oder Kommers hieß ja ursprünglich jede Art von geräuschvoller

Veranstaltung.

 

Schmetterling - auch ein Symbol für die Vielfalt

Die Frage: Wie wird sich Ungarn inhaltlich selbst definieren, kann mit dem Wort "vielfältig" beantwortet werden. Durch die Vielfalt seiner Verlage, durch die Vielfalt seiner Autoren, durch die Vielfalt seiner internationalen Verbindungen. Allein die Menge der Neuerscheinungen machen eine Diskussion über mögliche Einseitigkeit entbehrlich. Nach Aussagen des Pressesprechers der Buchmesse wurden noch nie soviel Neuerscheinungen von einem Schwerpunktland vorgestellt. Für die Vielfalt der Bücherwelt sorgt sich vor allem der gefestigte, von privaten Verlagen dominierte Buchmarkt in Ungam. Der Aufschwung der Produktion und das Wachsen der Kaufkraft für Bücher waren auf dem 6. internationalen Buchfestival in Budapest am Ende April dieses Jahres zu erleben. Dieses Buchfestival, immer mehr mit dem Charakter einer echten Buchmesse, wurde mit Hilfe der Ausstellungs- und Messe GmbH des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels mitgegründet und mitgefördert. Auch zur Zeit dieser Pressekonferenz läuft eine traditionsreiche Veranstaltung in Ungarn, die von einer starken Entwicklung des ungarischen Buchmarktes zeugt. Es ist die seit 1928 jährlich durchgeführte Woche des Buches, die die Buchhandlungen und Verlage

in Ungam veranlaßt, in vielen Städten und Gemeinden Buchzelte auf den Markten aufzuschlagen, neue Bücher vorzustellen, Autoren auf Lese- und Signaturenreisen zu schicken. Was in diesem Jahr auf der Frankfurter Buchmesse zu sehen wird, hängt allerdings auch von Zufälligkeiten ab. Wann einem Autor oder einer Autorin ein großer Wurf gelingt, wann er oder sie einen Verlag in Ungarn

oder im Ausland findet, wann ein schwieriges Werk seinen Übersetzer oder Übersetzerin findet, kann schwer vorausgesagt werden. Die Veranstalter hoffen aber, daß die Autoren, Agenturen, Verlage, Übersetzer 1999 noch mehr Möglichkeiten haben werden zu lernen, wie die ungarische Buchkultur in den intemationalen Buchmarkt einzubinden ist, als je zuvor. Die ungarische Kulturadministration ist von ihrerseits bestrebt, diesen Prozeß mit ihren Mitteln auch nach 1999 zu fördern. So bleibt der 1997 gestiftete Fond für die Unterstützung der Übersetzungen aus dem Ungarischen weiterhin aufrechterhalten. Auch die Informationen über die ungarische Buchwelt sollen jedes Jahr in der Vollständigkeit aktualisiert werden, die wir für die Messe 1999 zu erreichen hoffen.

Nach Ungarn kommt Polen und Griechenland

Und nicht zuletzt: Wir wollen die Nachfolgeländer, soweit es geht, in unser Programm einbeziehen. Zum ersten Mal wird das nächste Schwerpunktland das Ausstellungsprogramm seines Vorgängers mitgestalten. Am vorletzten Tag der Messe, am 17. Oktober, übergeben wir einen Teil der Halle 3.0 Polen. Denn der Integrationsprozeß sollte nicht nur in Richtung West-Ost vollziehen, sondern auch in Richtung Nord-Süd: Polen mit den Tschechen und Slowaken und Griechenland mit der ganzen Balkanhalbinsel sollen in einem europäischen Austausch anspruchsvolle Partner sein.

 

 

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