UNGARNS LITERARISCHE ZIELSETZUNGEN

 

wei große Jubiläen bilden den historischen Rahmen zum Schwerpunktthema “Ungarn unbegrenzt” auf der Frankfurter Buchmesse: Im Jahre 2000 feiert Ungarn das Millennium seiner Staatlichkeit – es ist tausend Jahre her, daß König István (Stephan der Heilige) die Krone vom Papst Sylvester erhalten hatte. Dadurch wurden die damals noch zum großen Teil heidnischen Ungarn als Bestandteil des christlichen Europas anerkannt.

Das andere Jubiläum kann man unter dem Slogan “zehn Jahre Demokratie und europäische Integration” zusammenfassen. Nach der Abdankung des KP-Chefs János Kádár (April 1988) begann die allmähliche und nicht ganz konfliktfreie Entstehung der demokratischen Institutionen und Parteien, der allmähliche Abbau der kommunistischen Diktatur. Am 23. Oktober 1989 wurde die Republik Ungarn ausgerufen und im März/April 1990 fanden die ersten freien Wahlen seit 1947 statt.

Was hat das alles mit der Kultur und mit dem Schwerpunktthema zu tun? Die Kultur wurde durch ihren Überlebenskampf gegen Zensur und staatliche Bevormundung zur geistigen Vorgeschichte der jetzigen Demokratie. In ihren Inhalten wirkten bereits seit Jahrzehnten die Elemente des Pluralismus, einer kompromißlosen Wahrheitssuche oder einfach die von den politischen Anforderungen unabhängig gewordenen ästhetischen Werte.

Die Zugehörigkeit zu Europa war für die ungarische Kultur niemals in Frage gestellt. Die erste moderne Literaturzeitschrift trug den symbolträchtigen Namen “Nyugat” (=Westen) – eine geographische Selbstdefinition. Endre Ady, Mihály Babits, Dezsö Kosztolányi und andere große Autoren orientierten sich eindeutig an den europäischen Werten, ohne jedoch die ungarische Tradition zu vernachlässigen. Béla Bartók sammelte Volkslieder und schuf eine moderne Musik. József Rippl-Rónais Oeuvre war der zeitgenössischen französischen Malerei ebenbürtig und die Budapester psychoanalytische Schule von Sándor Ferenczi war direkt mit Sigmund Freud verbunden.

Die Schwerpunktdarstellung bietet in diesem Jahr zur Buchmesse fast alle vorhandenen Tendenzen ungarischer Literatur und Kunst. “Ungarn unbegrenzt” – dieser Slogan bedeutet einerseits die Offenheit nach außen – gegenüber benachbarten Völkern und Kulturen – andererseits die Offenheit nach innen – die Akzeptanz aller Stilrichtungen, Strömungen und Kunstgattungen. In Bezug auf das literarische Programm bedeutet diese Offenheit die Ausweitung des bisherigen Spektrums. Neben in Deutschland bereits bekannten und populären Autorinnen und Autoren wie Magda Szabó, Imre Kertész, György Konrád, Péter Nádas, Péter Esterházy und István Eörsi – präsentiert das Land jüngere Verfasser: Literatur, die in den achtziger/neunziger Jahren entstand. Die neuen Bücher von Endre Kukorelly, László Garaczi, Attila Barti, László Márton und Pál Závadas sind Beispiele dafür. Stärker als früher werden diesmal die Autorinnen vertreten sein: Die in Wien lebende Györgyi Vándor veröffentlicht die Erinnerungen an ihre Gefängnisjahre nach dem Stalinistischen Rajk-Prozeß, Katalin Horányi erscheint mit ihrem in Ungarn erfolgreichen Roman “Zeitstörung”, dessen Handlung in den siebziger und achtziger Jahren spielt. Ebenfalls mit Romanen melden sich Zsuzsa Vathy und Agáta Gordon zu Wort, die in München lebende Ágnes Relle gibt eine Sondernummer der Zeitschrift “Horen” heraus und die Wahlberlinerin Orsolya Kalász, die gleichsam deutsche und ungarische Gedichte schreibt, sammelt die poetischen Werke von Autorinnen und Autoren, die nach 1960 geboren sind. Es erscheinen eine Anthologie der Roma-Dichtung, die Märchen des Roma-Prosaisten Menyhért Lakatos, zahlreiche Bücher mit jüdischer Thematik (unter anderem Peter Habers Buch “Das jüdische Budapest”), sowie Werke von Autoren, die der ungarischen Minderheit jenseits der Landesgrenze angehören (Ottó Tolnai, Lajos Grendel). Auch die Klassik und die moderne Klassik sind durch Namen wie Dezsö Kosztolányi, Gyula Krúdy, Zsigmond Móricz und Miklós Radnóti vertreten. Zwei Prosa-Anthologien (“Ungarn von Montag bis Freitag” und “Königreich am Rand”) präsentieren die heutige Novellistik. Die Romanserie “Ungarisches Jahrhundert” kann als literarisches Lesebuch zur Geschichte betrachtet werden.

All diese Vielfalt ist nur deswegen möglich, weil die deutschen, österreichischen und Schweizer Verlage “mitgespielt” haben. Mehr als neunzig ungarische Bücher erscheinen im deutschen Sprachraum. Aufgrund von drei Wettbewerben und spezieller Förderung wurden auch ungefähr fünfzig ungarische Verlage ermuntert, einen Teil ihrer Produktion in ausländischen Sprachen zu veröffentlichen. Dieses großangelegte Buchprogramm wird auch bei literarischen Veranstaltungen präsentiert – in Frankfurt, Bad Berleburg, Aschaffenburg, Darmstadt, Heidelberg und anderen Städten finden 60 bis 70 Lesungen statt, an denen insgesamt ca. 100 Autoren teilnehmen.

 

 

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