IMRE ORAVECZ
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BEDEUTUNGSGEFLECHT IM KIVA

Die Grube bedeutet das Nichts
d. h. die Stütze der Geburt,
die Erde bedeutet die Härte
d. h. den Willen der Geburt,
die Mauer bedeutet die Grenze
d. h. den Raum der Geburt,
die Säule bedeutet die Ruhe
d. h. die Macht der Geburt,
der Altar bedeutet das Opfer
d. h. die Antwort der Geburt,
das Feuer bedeutet den Wandel
d. h. die Wärme der Geburt,
das Bänkchen bedeutet das Warten
d. h. die Zeit der Geburt,
die Leiter bedeutet den Weg
d. h. die Qual der Geburt,
das Dach bedeutet die Höhe
d. h. den Himmel der Geburt,
die Öffnung bedeutet die Richtung
d. h. das Ziel der Geburt
(Aus A hopik könyve, aus dem Ungarischen übertragen Oskar Pastior)


DIE STATUEN der karlsbrücke sind blau
im turm salpeter
der griff in der wand
reines silber

im engen goldmachergäßchen
kommt im schwarzen wintermantel
kommt mit schwarzem hut
die socken löcherig
Franz Kafka
klopft mit seinem regenschirm
an die fensterscheiben

wassermühlen an der kampa
nachts setzt der tote müller
mit mehligen händen
das morsche rad in gang
eine wildente schreckt an der Moldau auf
und schlägt mit den schwingen
verzweifelt das wasser

zum wenzlesplatz ziehen
mittelalterliche ritter
der panzer rostig und der harnisch schwer
durchblutet die verbänd auf den wunden in der brust

die altstadt:
helmbüsche ketten und gitter
die bewohner schlafen und das leben geht
in ihren träumen zu ende

Prag, 1968
(Aus Héj, aus dem Ungarischen übertragen Reiner Kunze)


"Die Frage, ob die historische Position, die die Dichtung von Orvecz einnimmt, mit dem Attribut 'postmodern' versehen werden könne, bleibt offen, [...] denn durch die für Oravecz charakteristischen Sprecherpositionen in denen sein stabiles, offensichtliches Wertesystems zum Ausdruck kommt und durch seine Bestrebungen die Gesprächssituation in den Gedichten zu bewahren, lassen sich kaum Spuren der écriture- bzw. texture-Literaturauffassung nachweisen."
(Zoltán Kulcsár-Szabó)

 

 

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